RECHERCHE IN PANDEMIEZEITEN

Von Sascha Flocken, 20. November 2020

Recherche in Pandemiezeiten ist gar nicht so einfach. Wir treffen uns in kleinen Gruppen, halten Abstand, und da ich als Regisseur am anderen Ende der Republik wohne und mich Erkältungssymptome plagen, bleibe ich im Herbst 2020 lieber mal zu Hause. Aber ich bin trotzdem zugeschaltet, Internet macht’s möglich. Per Tablet sitze ich vor einem 16-Jährigen, der den Mut hat, uns im Gespräch von seinen Erfahrungen zu Liebe und Sexualität zu erzählen. Ich staune, mit welcher Selbstverständlichkeit und mit welchem Vertrauen dieser junge Mensch uns teilhaben lässt an seinen Unsicherheiten und Fragen, aber auch an seinem Gefühlsleben und seinen Wünschen.

SEXUELLE IDENTITÄT IM WANDEL

Er erzählt uns, wie er plötzlich merkt, dass er sich für einen anderen Jungen interessiert, wie er merkt, dass sich seine sexuelle Identität wandelt. Und wie schön zu hören, dass es viele Menschen gibt, denen er sich anvertrauen kann. Er sagt selbst, das sei keine Selbstverständlichkeit. Wie wichtig ein angstfreier Umgang im persönlichen Umfeld ist. Und dann gesteht er sich ein, dass er ganz konservative Vorstellungen hegt – den Rest seines Lebens mit dieser anderen, begehrten Person verbringen. Aber so geht es doch vielen von uns: alles ist möglich, und nahe liegt das Klassische, aber meistens auch das Gewohnte. Wie sich Zusammenleben gestaltet, merkt man erst im Laufe der Zeit und soll und darf jeder:r für sich herausfinden und entscheiden.

SEXUELLE AUFKLÄRUNG IST NICHT IMMER AUFKLÄREND

Eklatant war die Feststellung, wie sexuelle Aufklärung in der Schule aussieht: „Geburt und sexuell übertragbare Krankheiten“. Und beeindrucken, wie deutlich ein Anspruch an den Unterricht der Zukunft formuliert wird: Fächerübergreifend, nicht nur biologisch. Über die soziale Dimension von Sexualität sprechen, wie unterschiedlich Menschen leben und lieben, wie uneindeutig das soziale Geschlecht sein kann. Und ein letzter Appell: Sprache achtsam zu benutzen und zu öffnen. Niemanden ausschließen. „Es schadet niemandem, wenn man es richtig macht (…) Das ist nur minimaler Aufwand und macht viele Menschen glücklich“. Vielleicht sollten wir uns diesen simplen Grundsatz zu Herzen nehmen.

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